Mittwoch, November 6, 2024
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Das tägliche Training

Die Tage reihten sich aneinander, aufgestanden wurde jeden Morgen um fünf Uhr, zuerst ging es zur Morgenandacht, die Mönche meditierten, sangen das O mi to Fo, beteten, gingen in sich, ich war mehr ein stiller Betrachter, sog die Eindrücke in mich auf. Zu dieser Tageszeit war es bitterkalt, die Knochen und Gelenke schmerzten vom Sitzen. Das Meditatinskissen war eher ein Ameisenhaufen, still sitzen war für mich eine Qual.

Danach ging es immer in die Tempelkantine, ein großer Raum, in dem ein riesiger Topf Reis und ein kleinerer Topf mit Gemüsen (in Sauce) über de Feuer hing, wir wärmten uns zusammen mit den anderen Mönchen an großen Tischen (ähnlich von Bierbänken), dann gingen wir in unsere (jetzt war es unsere) Klause, machten die Morgentoilette, tranken Woo-Long-Tee, fingen an zu reden, mit Computer, Händen und Füßen, aber die Verständigung klappte gut zwischen uns.

Dann begann das Training, jeden Tag mit festen Ritualen, immer zuerst die „Aufwärmungen“, nach denen ich schon hoffnungslos bedient war, aber aufgeben kam nicht in Frage, ich hatte es bis hierher geschafft, nun wollte ich auch weitermachen, keinesfalls die Fahne streichen.

Fast alle Übungen fanden in Positionen knapp über der Erde statt, für ungeübte Betrachter sieht die Sache auch nicht wirklich anstrengend aus, wer allerdings solche Stellungen schon einmal gehalten hat der weiß, wie schwierig dies für einen normalen Mitteleuropäer sein kann.

Aus so einer Position schnellte Shi Yan Zi dann immer wieder pfeilschnell nach oben, kam in eine Angriffsposition, war in „Null Komma Nichts“ genau vor meiner Nase, gerade eben war er noch am Boden, jetzt schwebte er förmlich über der Erde, ich war tief beeindruckt.

Immer mehr brannten die Beine, besonders die Oberschenkel, die mein doch beachtliches Gewicht (damals etwa 90 kg) tragen mussten, die ungewohnten Positionen haltend, die Bewegungen waren absolut ungewohnt für mich, sahen (auf den ersten Blick) auch befremdlich aus, ergaben dann im Bewegungsablauf durchaus Sinn. Aber es ist eben ein Unterschied, ob ein geübter Kämpfer übt, oder ob ein wohlstandsverwöhnter Europäer meint, hier den Tempelkämpfer abgeben zu müssen. Ständige Wiederholungen von nur wenigen, immer gleichen Übungen, die Muskeln brannten, die Kraft ließ nach, eine unendlich scheinende Plackerei, so hatte ich mir das nicht vorgestellt, eher auf die „magische Pille“ gehofft, eigentlich weiß ich nicht mehr, was ich wirklich erhofft hatte.

Aber jetzt war ich hier, durchgezogen wird, koste es, was es wolle. Ständige Verlagerungen des Körpergewichts (knapp oberhalb der Erde) von einem Bein zum anderen, das Bein mit dem Gewicht weit abgeknickt, das Gesäß am Boden, das andere Bein im Halbspagat abgestreckt, so übte ich Stunde auf Stunde.

Immer wieder ordnete der Mönch eine Pause an, er schmunzelte dabei, sicherlich dachte er sich seinen Teil über den Zustand der Westler. Aus der Position am Boden wieder hochzukommen war unglaublich kraftaufwendig, ich hatte auch die Eleganz eines Elefanten, bei Yan Zi sah das alles so viel einfacher aus. Aber es ging aufwärts, nach einigen Tagen hatte ich mich an die Belastungen gewöhnt, die Beine brannten zwar wie Feuer, aber das fiel mir gar nicht mehr auf.

Mich überkam Stolz, ich war im Shaolin Tempel, ich trainierte hier, wurde ein Teil der Gemeinschaft, ich hatte es bis hierher geschafft. Jeden Tag acht Kunden Training, am Morgen vier, dann mehrere Stunden Mittagspause, dann nochmals vier Stunden Training, so vergingen die Tage.

Andere Übungen schien es nicht zu geben, zwar sah ich die Mönche im Hof alle möglichen Bewegungsabläufe trainieren, mein Meister bellte seine Befehle vor sich hin, „Yī’èrsānsì“ (Eins, Zwei, drei, vier), immer wieder, Stunde um Stunde, Tag um Tag, das Ganze hatte etwas sehr meditatives. Immer in den Pausen gab es den geliebten Tee, nun manchmal auch „Mòlìhuā-Chá“ (Jasmintee), ebenfalls eine Köstlichkeit.

Nach einigen Wochen wurde mein Allgemeinzustand immer besser, ich fühlte mich plötzlich leicht wie eine Feder, die Schmerzen wurden weniger, bis sie dann einfach aufhörten, ich hatte mich an mein neues Leben gewöhnt. Tage oder Wochen, wie lange war ich schon hier? Ich wußte es nicht, die Zeit verging, ich war angekommen.

Mein Ziel wurde immer mehr zu meinem Weg!   

 

Drei Feuer sind zu meiden, nicht zu unterhalten: das Feuer der Lust, das Feuer des Hasses, das Feuer des Wahnes

Buddha – Ehrenname des Siddharta Gautama – 560 bis 480 vor dem Jahr Null

So wie die Muskeln durch Training zunehmen, so stärkt sich auch die Denkfähigkeit durch Training. Nur, das kann man nicht so gut sehen

Erhard Blanck – Deutscher Heilpraktiker, Schriftsteller und Maler – geboren 1942

Mein körperliches Training besteht darin, daß ich die Särge der Freunde trage, die regelmäßig trainiert haben

Chauncey Depew – US-amerikanischer Eisenbahnmagnat und Senator – 1834 bis 1928

Der orthopädische Nutzen langjährigen disziplinierten Arschkriechens ist wissenschaftlich noch nicht endgültig abgesichert. Das damit verbundene Training vernachlässigter Muskelpartien dürfte aber als Schlüsselfaktor für die Vitalität vieler Manager gelten

KarlHeinz Karius – Urheber, Mensch und Werbeberater – geboren 1935  

Der amerikanische Philosoph Charles Peirce widmete sich drei Jahre lang jeden Tag zwei Stunden dem Studium der kantschen Kritik der reinen Vernunft. Das gefällt mir: Denken gleichsam als Sport mit täglichem Training. Aber welche Sportart soll man sich da aussuchen? Im Kosmos des Denkens gibt es Millionen Sportarten, sodaß die Gefahr sehr groß ist, nach einiger Zeit zu erkennen, daß man mit anderen Sportarten als den bisher betriebenen wesentlich mehr Spaß gehabt und bessere Ergebnisse erzielt hätte – von neuen Rekorden ganz zu schweigen.

Gregor Brand – Deutscher Schriftsteller, Lyriker und Verleger – geboren 1957

Sport ist sozusagen ein Spiegel der Seele des Menschen, was ich im Sport bin, bin ich wirklich selbst

Netzfund – 

 

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